texte + bilder
Gescheiterte Hilfe
2001-02

Schlaflied
Schlaf, Mutter, schlaf, Vater,
Ich bin euer bestes Stück
Ich bin eure Stütze im Leben
Eure einzige Hoffnung
Eure Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft,
Ich bin alles für euch
Alles andere ist Quatsch
Alles andere bringt es nicht
Alles andere könnt Ihr vergessen
Baut auf mich
Hofft und glaubt an mich
Investiert in mich
Denn ich werde im Alter für euch da sein.
Schlaf, Mutter, schlaf, Vater,
Sicher wird aus mir sehr bald was
Vielleicht kriege ich den Nobel-Preis
Oder irgend einen anderen Preis
Wenigstens einen kleinen Auftrag
Oder vielleicht einen Nebenjob
Vielleicht werde ich eines Tages etwas finden
Etwas Nützliches
Etwas Praktisches
Einen Kochtopf vielleicht
Oder einen Topfdeckel
Oder einen Schlüsselring.
Schlaf, Mutter, schlaf, Vater
Ich habe noch ganz viele unentdeckte Talente
Mir stehen alle unsichtbaren Türen offen
Ich werde den Drachen erschlagen
Ich werde die Windmühlen besiegen
Ich werde für euch einen Luftpalast bauen
Dort gehen alle Wünsche in Erfüllung
Und jeder kriegt zu Weihnachten einen roten Ball geschenkt.

Gabi ist tot
Ich wäre gerne eine von diesen Frauen, die alles ganz genau wissen.
Wo es lang geht, wie man einen Mann behandelt und den ganzen Rest.
Die am Telefon sagen: “Jaja, ich hab' auch zu tun, bis nächste Woche.”
Und dann sofort ihre Freundin anrufen und in den Hörer brüllen: “Der Mistkerl hat mich schon wieder versetzt!”
Diesen Frauen gilt mein Respekt.
Sie tragen wohlklingende Namen: Gabriela, Claudia, Gesine, Simone.
Sie haben ihre Prinzipien und rasten regelmäßig aus.
Ansonsten sind sie eher unscheinbar.
Auf der Straße dreht sich keiner nach ihnen um.
Keiner hält ihnen die Tür auf.
Sie leben in Großstädten und denken über den Weltschmerz nach.
Sie sind stolz darauf, allein für sich sorgen zu können.
Sie glauben fest an ihre ausgeprägte Persönlichkeit.
Sie lassen sich niemales unterbuttern.
Sie kämpfen für die Gerechtigkeit.
In ihrem Kühlschrank liegt seit längerer Zeit ein Stück Käse.
Wenn sie ausgehen, schminken sie sich plötzlich.
Sie hassen eine Reihe von Dingen.
Wenn sie etwas entschieden haben, halten sie sich auch daran.
Ich liebe diese Frauen, sie sind so aufregend.
Sie haben dann diesen Freund, der manchmal vorbeikommt.
Sie kennen sich schon seit dem Kindergarten.
Der Freund macht natürlich Musik und ist ständig unterwegs.
Manchmal schläft er mit anderen Frauen.
Fremde Frauen sind sehr schön oder sehen zumindest anders aus.
Dann aber sagt er zu sich: “So, jetzt fahre ich aber zu Gabi.”
Und fährt tatsächlich dahin.
Eine Nacht lang halten sie es miteinander aus, aber schon am nächsten Tag gibt es Streit.
Der Freund ist einfach unerträglich.
Glaubt er denn, die Gabi würde ewig auf ihn warten?
Er kommt doch eh nur zum Schlafen und zum Duschen.
Unter lauter Geschrei reist der Freund Hals über Kopf ab.
Am Abend darauf stirbt Gabi sagen wir an Bronchitis.
Der Freund kommt zwei Monate später vorbei, aber niemand macht ihm auf.
“Die blöde Kuh,” denkt er und macht sich auf die Reise.

Zeichen
Die Blumen auf meinem Tisch sind schon wieder verwelkt.
Das ist bestimmt ein Zeichen.
Wofür, weiß ich noch nicht so genau.
Es stellt sich meist später heraus.
Nicht dass Sie denken, ich sei abergläubisch.
Ich glaube an gar nichts so richtig.
Doch es gehört zum Grundwissen einer Frau dazu, Zeichen zu sehen und zu deuten.
Gestern zum Beispiel.
Eine Fliege hatte sich in mein Schlafzimmer verirrt.
Heute weiss ich: Sie hat gutes Wetter vorhergesagt.
Mal konnte ich meinen rechten Schuh nicht finden.
Das hat bedeutet: Bald kommt Besuch aus Amerika.
Allerdings bedeutet das Wiederfinden eines Schuhs, dass man in der Woche darauf lieber keinen aufgetauten Fisch essen sollte.
Wenn die Messerspitze abbricht, gibt es bald Regen.
Überhaupt deuten viele Zeichen auf Regen hin.
Besonders im Herbst.
Im Sommer dagegen heisst fast alles: Schwimmen gehen.
Wenn man verliebt ist, bedeuten die Zeichen: Kein Glück in der Liebe.
Ein zerbrochenes Glas bedeutet immer Streit mit den Eltern.
Ich kaufe schon lange keine Gläser mehr.
Aber ich kann es keinem verbieten.
Oft muss ich zu Anlässen hin, wo Sekt getrunken wird.
Viele Geschäfte führen Glasartikel.
Man kann den Zeichen nicht entgehen.
Eine abgebrannte Kerze bedeutet schwere Sachen in den fünften Stock schleppen.
Eine leere Klorolle bedeutet Regen.
Ein abgebrochener Bleistift bedeutet Streit mit Peter.
Ein zu Ende gelesenes Buch auch.
Hinzu kommen schwierige Zeichenverstrickungen, und es dauert, bis man sie richtig deuten kann.
Einmal hatte ich mich an einer Gräte verschluckt.
Das hat eine baldige Reise bedeutet.
Baldige Reise bedeutet Krieg im Nahen Osten.
Krieg bedeutet Streit mit den Eltern.
Streit mit den Eltern bedeutet Regen.
Alles bedeutet etwas.
Es wäre gut, wenn es eine Antwort auf alle meine Fragen gäbe.
Verfehlte Liebe
Ich habe mich entschieden, dir einen Brief zu schreiben.
Diese Entscheidung habe ich plötzlich getroffen.
Wir kennen uns noch nicht.
Nachdem ich diesen Brief geschrieben haben werde, werde ich anfangen, nach dir zu suchen.
Ich sitze in einem Straßencafé, von hier aus hat man einen guten Überblick.
Der Vogel singt sein trauriges Lied.
Überall, wo man hinschaut, ist eine Landschaft.
Nachdem wir uns kennengelernt haben werden, werden wir uns nie wiedersehen.
Ein Pfad, und dahinter die Berge.
Ein Sonnenuntergang.
Dies ist ein Liebesbrief.
Ich hätte dich geküßt, und du hättest die Augen niedergeschlagen.
Deine langen Wimpern hätten meine Wange gestreift.
Mir wäre es schwindelig geworden, ich hätte mich vergessen, ich hätte mich am Türrahmen festgehalten.
Der Kaffee schmeckt heute bitter.
Der weiße Tisch spiegelt sich in meiner Sonnenbrille wider.
Schöne Menschen gehen vorbei.
Alles dreht sich.
Am Nebentisch sitzt ein feiner Herr und liest Zeitung.
Er hat seine Beine übereinandergeschlagen.
Zwischen seiner Socke und dem Hosenbein - ein Hautstreifen mit Haaren.
Mein Herr, ich möchte Ihre Bekanntschaft machen.
Ich liebe Sie.
Ich werde Ihnen die Treue halten.
Aber Sie müssen mich entschuldigen, ich darf meinen Zug nicht verpassen.
Ich habe einen weiten Weg vor mir.
Wir werden uns nie wiedersehen.
Dies ist ein Ring, hiermit erkläre ich Sie zu Mann und mich zu Frau.
Die Nacht schleicht sich von Osten heran.
Im Zug sitzen viele feine Herren mit Aktentaschen.
Einige hocken auf dem Boden.
Ich hätte jeden einzelnen von ihnen lieben können.
Einige gefallen mir mehr, andere weniger.
Aber ich denke, mit der Zeit könnte ich mich an jeden von ihnen gewöhnen.
Man hat so viele Möglichkeiten.
Wie soll man sich jemals entscheiden?
Ein weißes Auto fährt neben dem Zug her, der Rest versinkt im Dunkeln.
Auch im Auto sitzt ein feiner Herr, aus dem Zugfenster fällt ein Licht auf seine Schläfe.
Ich gebe ihm ein Zeichen: Mein Herr, ich liebe Sie.
Aber er schaut lieber gerade aus.
Vielleicht ist es auch besser so.
Schließlich habe ich mich bereits dem Herrn mit der Socke versprochen.
Trauriges Lied
Ich singe dir ein trauriges Lied.
Gestern warst du noch hier, und heute bist du nicht mehr da.
Jemand hat dich falsch angeguckt, etwas hat dich verletzt.
Eine Handbewegung, ein Schulterzucken.
Sie haben hinter deinem Rücken geflüstert, und als du dich umgedreht hast, hörten sie gleich wieder auf.
Du hast jemanden im Flur getroffen, der dich nicht wiedererkennen wollte.
Jemand hat dir im Gespräch den Rücken zugewandt.
Der Bus hat seine Türen vor Deiner Nase zugeschlagen.
Du hast deinen Zug verpaßt.
Der Laden war schon geschlossen.
Das Geld wurde noch nicht überwiesen.
Das Aspirin ist ausgegangen.
Der Film hat schon angefangen.
Dies ist ein trauriges Lied.
Auch die Melodie ist traurig.
Der Wind pfeift unter der Tür.
Deine Nachbarn rechts lieben sich.
Unten spielt jemand Klavier.
Immer wieder dieselbe Passage.
Jemand hämmert auf der Heizung.
Jemand kratzt mit einer Rasierklinge an der Fensterscheibe.
Der Fahrstuhl hält ständig vor Deiner Tür, der linke Nachbar, der sonst nie da war, scheint ausgerechnet heute ausziehen zu wollen.
Jemand schmeißt Geschirr an die Wand.
Im Hinterhof will ein Auto nicht starten.
Die Straßenbahn schellt an jeder Kreuzung.
Die Kirchenglocke schlägt siebenundachtzig Mal.
Auch Dein eigener Wecker hört nicht auf zu ticken.
Der Wasserhahn tropft.
Die Heizung singt.
Dieses Lied ist traurig.
Sein Ausgang ist ungewiß.
Vielleicht scheint morgen die Sonne.
Vielleicht regnet es aber wieder.
Vielleicht wird dich morgen jemand anrufen.
Vielleicht kommt deine Katze zurück, vielleicht findest du deinen Regenschirm wieder.
Du schläfst bei eingeschalteter Tischlampe ein.
Die Musik verstummt langsam, dann fällt auch schon der Vorhang.
Roman
Zwanzig Personen sind alle schwer ineinander verliebt.
Plötzlich spielen der Dorfarzt und der Richter bei der Kaufmannswitwe Karten.
Der Dorfarzt gewinnt.
Dabei weiß er noch nicht, daß seine eigene Frau eine Totgeburt hatte.
Es folgt eine ausführliche Naturbeschreibung.
Dann bricht der Krieg aus.
Alle werden eingezogen, auch die Kaufmannswitwe und ihr Schwager, der Dichter.
Dem Dichter gefällt der Krieg nicht.
Eines Tages bekommt er einen geheimnisvollen Brief, stark parfümiert.
Der Brief ist von der Tochter des Staatssekretärs, die an Tuberkulose leidet.
Der Dichter zerreißt den Brief, ohne ihn zu lesen.
Der Richter, der sich zufällig im selben Raum befindet, ist in diese kranke Tochter verliebt.
Aber er ist schon seit August verlobt, und zwar mit einer entfernten Verwandten des verstorbenen Kaufmanns, Schwester Olga.
So läßt er den Dichter machen.
Dann fahren alle aufs Land.
Dort kommt es zu einer tragischen Auseinandersetzung zwischen den Gegnern und den Sympathisanten.
Der Dichter wird erschossen.
Er wollte sich aber eh schon vorher umbringen.
Währenddessen hat sich die Kaufmannswitwe einen jungen Studenten angelacht.
Dieser hat es auf ihr Geld abgesehen.
Die Witwe ist nämlich steinreich und leiht dem Staatssekretär andauernd Geld aus.
Nachts schleicht sich der Student an die Witwe heran.
Aber bevor sie ihn erkennen kann, stirbt sie an einer Schilddrüsenentzündung.
Zwischendurch erinnert sich der Dorfarzt an seine Jugend und an die Zeit, die er hätte besser nutzen können.
Die Spannung steigt allmählich.
Der Höhepunkt wird erreicht, als der Richter auf einem Wohltätigkeitsabend dem Studenten begegnet.
Er erkennt in ihm den unehelichen Sohn seines verstorbenen Halbbruders und adoptiert ihn.
In diesem Augenblick stirbt der Dorfarzt in einem Spielkasino.
Drama
Man hat uns ein klassisches Drama versprochen.
Alle Charaktere sind Griechen.
Alle Frauen und Kinder auch.
Sogar die Handlung spielt in Griechenland.
Ich freue mich schon sehr.
Man hat uns gesagt, am Ende bringen sie sich alle gegenseitig um.
Griechen gelten allgemein als blutrünstig.
Auch ich kenne einen Griechen.
Seine Mutter kriegt Anfälle, wenn sie im Flugzeug sitzt.
Ansonsten ist mein griechischer Freund immer schlecht gelaunt.
Andauernd wirft er mir vor, dass ich aus einem besseren Hause komme.
Seltsam.
Vielleicht würde es ihm weiterhelfen, ein klassisches Drama zu sehen.
Dort werden angeblich auch viele Vorwürfe gemacht.
Es würde mich schon interessieren, wie diese alten Theater-Griechen aufeinander losgehen.
Zu ihren Lebzeiten waren sie sehr produktiv.
Sie haben haufenweise Gipsabdrücke hinterlassen.
Man weiß bis heute nicht, wohin damit.
Aber zum Wegschmeißen sind sie auch zu schade.
Also stehen sie an den unmöglichsten Stellen.
Nur wenige von ihnen sind vollständig erhalten, irgendetwas fehlt ihnen immer.
Die Frauen hatten damals kleine spitze Brüste und überhaupt keine Arme.
Auch den Männern fehlt einiges.
Trotzdem sind sie sehr leidenschaftlich gewesen.
Darum geht es auch in den meisten klassischen Dramen.
Die Cleopatra, zum Beispiel.
Oder Mme Butterfly.
Die Frauen leiden mal wieder am meisten.
Die Männer - och, denen ist alles egal.
Sie prügeln sich nur und saufen.
Manchmal spielen sie zusätzlich noch ein Instrument.
Oder sie verreisen und kommen nie wieder zurück.
Dann wird gewartet und gestrickt.
Aber wenn dort die ganze Zeit gestrickt wird, bleibe ich doch lieber zu Hause.
Es deprimiert mich, mitansehen zu müssen, wie jemand seinen Hausfrauenpflichten nachgeht.
Auch hasse ich es zu warten.
Einmal hat sich ein Mann mit mir im Park verabredet.
Er hatte strahlend blaue Augen und ein Haus in den Alpen.
Aber er ist nie erschienen.
Märchen
Ein Bauer hatte drei Söhne.
Eines Tages gingen sie in den Wald.
Dort haben sie eine Prinzessin gesehen.
Danach haben sie Pilze gegessen.
Dann sind sie auch schon gestorben.
Die Prinzessin war aber verzaubert.
Denn sie war das Einzelkind eines Königs, dessen Frau verstorben war.
In ihrer Jugend war die verstorbene Königin eine Opernsängerin.
Zwei Schafe haben sich im Wald verirrt.
Plötzlich sahen sie eine Hütte.
Eine Hütte bedeutet immer grünes Wohnen.
Tatsächlich lebte dort die Prinzessin.
In ihrem Schrank hatte sie viele Sachen, unter anderem eine Mehrzweckzange.
An dieser Stelle tritt der Bauer in Erscheinung.
Als landwirtschaftlicher Mitarbeiter braucht man oft neue Schuhe.
Die Prinzessin aber arbeitete nebenbei als Schuster.
Auch hat sie gut gekocht.
Einmal hat sie ein Entenmännchen gefangen und wollte es essen.
Das Entenmännchen war aber verzaubert und außerdem ein Verwandter der verstorbenen Königin.
Leider konnte es nicht sprechen.
Die Entensuppe hat dem Bauern gut geschmeckt, und er wollte gleich heiraten.
Die Hochzeit wurde geheimgehalten, aus finanziellen Gründen.
Das gefiel dem König nicht.
Gleich am nächsten Tag schickte er in den Wald seine schwere Artillerie.
Die Schafe sind aber heil davongekommen.
Nun wollten sie plötzlich den Baum der Weisheit finden.
Dort soll es angeblich eine Schafkolonie geben.
Auf ihrem Weg begegneten die Schafe erst einem Hasen, dann aber doch einem Wolf.
Nun, die Schafkolonie wußte eh nichts von ihren Absichten.
Als der König davon erfuhr, wurde er schwer krank.
Die besten Ärzte konnten ihm nicht helfen, und so ist er leidergottes gestorben.
Die schwere Artillerie aber irrt immer noch im Wald herum.
Und zum Geburtstag. Und zu Weihnachten.
Du lebst am anderen Ende der Stadt.
In einer anderen Stadt.
Auf dem Lande.
Jeden Morgen trägst du Briefe aus.
Jeden Abend sammelst du sie wieder ein.
Ständig werden dir Geschichten erzählt.
Aber du kannst sie nicht für dich behalten.
Tagsüber schwitzst du.
Nachts hast du Durst.
Immer zur selben Zeit erwartest du Gäste.
Aber es kommt nie jemand.
Man hat dir deine Bücher geklaut.
Dafür hast du andere Dinge wiedergefunden.
Und zum Geburtstag
Und zu Weihnachten
Auch deine Tante hat dir ein Paket geschickt.
Lauter nützliche Dinge.
Was ist aber der Sinn des Lebens?
Letztens hat es dir jemand auf einer Party erklärt, aber du hast es wieder vergessen.
Ein Glas ist immer halb.
Zum Frühstück haben wir Kerzen gegessen.
Du wolltest das Licht einschalten.
Im März bekommen wir Gäste aus Amerika.
Willkommen in unserem Land.
Und zum Geburtstag
Und zu Weihnachten
Als Kind hatte ich ein rotes Schaukelpferd.
Wo ist es jetzt hin?
Vieles geht mit der Zeit verloren.
Dafür bekommt man Neues geschenkt.
Aber man weiß nie, was wichtiger war.
Eheleben
Wenn man verheiratet ist, hat man viele Verpflichtungen.
Ständig muß man mit dem Mann schlafen.
Manchmal wird man davon schwanger.
Manchmal auch nicht.
Kommt drauf an.
Und außerdem ist man eben nicht mehr frei.
Zum Beispiel muß man nach der Schule sofort nach Hause.
Und man muß ein Instrument lernen.
Man schreibt Tagebücher.
Der Mann ist aber auch selten da.
Man sieht sich zu bestimmten Anlässen.
Bei einem Galaball habe ich ihn mal gesehen.
Aber ich will nicht nur von mir reden.
Ich bin ja fast nicht verheiratet.
Aber wie schnell es doch passieren kann!
Man steigt in die U-Bahn, und schon ist es geschehen.
Im Leben ist alles so.
Sehr schnell eben.
Erst später erfährt man davon.
Und da lebt man schon zusammen und muß es von der Steuer absetzen.
Ab und zu geht man Waschmaschinen kaufen.
Meist bleibt man aber zu Hause und ißt so ein Zeug.
Dann muß man sich die ganzen Namen merken, für die Weihnachtskarten.
Man wird zusammen alt, was schneller passiert, als man erwartet.
Danach muß man viel bügeln und sparen.
Erinnerungen
Man muß heutzutage dünn sein.
Mit einem flachen Bauch und handlichen Brüsten.
Mit Spindelbeinen.
Schmächtigen Schultern.
Als Frau darf man sich nicht mehr schminken.
Als Mann sollte man es vielleicht.
Über der Autobahn brennt das Licht.
Wie konntest Du mich bloß so schnell vergessen?
Menschen kommen und gehen, und kommen, und gehen, und ich bleibe alleine.
Wie soll ich je erwachsen werden?
Am schönsten finde ich Kinderbücher.
Auch meine Kleidung kaufe ich in der Kinderabteilung.
Außerdem spiele ich gern.
Mit dir habe ich oft zusammengespielt.
Komm bitte zurück.
Man muß frühzeitig anfangen und rechtzeitig aufhören.
Alles nach dem richtigen Maß.
Es ist schwer, das richtige Maß zu finden.
Alles dreht sich.
Erinnerungen bleiben.
Ich weiß noch, wie sich unsere Blicke zum ersten Mal trafen.
Wie du weggeschaut hast.
Eine Fabrik dreht sich nachts auf die andere Seite.
Seit wieviel Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen?
Gab es dich jemals?
Das Ding in mir drin ist ein roter Ball.
Meine Erinnerungen leben in einem Ei, das Ei in einer Ente, die Ente auf einer Insel.
Niemand darf dahin.
Manchmal komme ich und breite die Erinnerungen auf dem warmen Sand aus.
Dann glänzen sie ein bißchen.
Man darf sie nicht zu lange im Licht liegen lassen.
Dennoch werden sie von Mal zu Mal schöner.
Am Ende bleibt nur noch das Licht.
Aus "Windmühlen und Luftpaläste", 2001, und "Keine Hilfe", 2002;
mehr Texte und Bilder unter #schöneszurspätenstunde
